DeutschPolskiČeština

Europäisches Kulturerbe

Die Werkbundsiedlungen sind gebaute Zeugnisse einer europäischen Avantgarde, die in der kurzen Zeit zwischen den beiden Weltkriegen und über Ländergrenzen hinweg, den Grundstein der modernen Architektur in Europa legte. Sie bilden zusammen ein europäisches Kulturgut von außergewöhnlicher Bedeutung. Bis heute sind die Siedlungen Gegenstand architekturtheoretischer Auseinandersetzungen und werden von zahlreichen Interessierten aus den unterschiedlichsten Ländern besucht und bestaunt.

Die Siedlungen als Spiegelbild europäischer Geschichte

Die Geschichte der Siedlungen spiegelt exemplarisch die politisch-gesellschaftlichen Entwicklungen und Brüche im Europa des 20. Jahrhunderts wider: den demokratischen Aufbruch nach dem Ersten Weltkrieg, danach Verfolgung der international ausgerichteten Avantgarde durch nationalistische und rassistische Regime, Spaltung in Ost und West nach dem Zweiten Weltkrieg.

Moderne Architektur als gemeinsame europäische Leistung

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs haben die Siedlungen wieder zusammengefunden. Verbunden im „Netzwerk europäischer Werkbundsiedlungen 1927-1932“ wird seit einigen Jahren ein vielfältiger Austausch gepflegt. Die Verleihung des „Europäischen Kulturerbesiegels“ im März 2020 ist der vorläufige Höhepunkt dieser Kooperation. In den kommenden Jahren soll dieser Austausch weiter gepflegt werden. Das Augenmerk soll dabei auf die Vermittlung der Bedeutung der Entstehung moderner Architektur als gemeinsame europäische Leistung an die junge Generation die vermittelt werden.

„Weißenhofsiedlung“ in Stuttgart 1927

Die Weißenhofsiedlung entstand 1927 im Rahmen der Ausstellung des Deutschen Werkbundes. Ziel war es, neue Wege zur Beseitigung der Wohnungsnot nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zu beschreiten und Lösungen aufzuzeigen, wie gesunde Wohnungen rationell und kostengünstig erstellt werden können.

Siebzehn Architekten der europäischen Avantgarde waren eingeladen, Lösungen für das „Wohnen des modernen Großstadtmenschen“ zu entwerfen. Innerhalb kürzester Zeit entstanden 21 voll funktionsfähige Experimentalbauten mit insgesamt 63 Wohnungen. Die Weißenhofsiedlung ist ein einmaliges Manifest der „klassischen“ Moderne. Es gibt kaum einen vergleichbaren Ort, an dem sich die Avantgarde gemeinsam derart programmatisch präsentierte.

„Kolonie Nový Dům“ in Brno/Brünn 1928

Die Ausstellungskolonie Nový Dům im Brünner Stadtteil Žabovřesky entstand 1928 als Teil der Ausstellung der zeitgenössischen Kultur in der Tschechoslowakei. Unterstützt vom Tschechoslowakischen Werkbund, errichteten zahlreiche bekannte Architekten der damaligen Zeit 16 Häuser mit einem minimalistischen Bauprogramm. Ziel war es modernen und leistbaren Wohnraum für junge Familien zu schaffen. Bis heute zeugt die Kolonie Nový Dům von der Fortschrittlichkeit der damaligen Brünner Architektenschaft, die in Brünn vielerorts sichtbar ist. Beispielsweise in der 1930 erbauten Villa Tugendhat von Ludwig Mies van der Rohe oder in vielen Gebäuden im Brünner Masaryk-Viertel bzw. namhaften Verwaltungsgebäuden im Zentrum.

„Wohnen und Werkraum“ in Wroclaw/Breslau 1929

Ein Jahr nach der Weißenhofsiedlung in Stuttgart entstand 1929 in Breslau ebenfalls eine große Bauausstellung – ihr Titel „Wohnung und Werkraum-Ausstellung“ (WuWA). Ziel war es neue Formen des zeitgemäßen Wohnens und Arbeitens zu präsentieren. Die 132 voll eingerichteten Wohnungen in 32 Gebäuden konnten drei Monate lang besichtigt werden und zeichneten sich insbesonder durch einen stark experimentellen und sozialutopischen Charkter aus. Beispielsweise wurden architektonische Konzepte umgesetzt die beispielsweise auf die veränderte Rolle der Frau in Familie und Arbeitswelt eingingen.

„Siedlung Neubühl“ in Zürich 1931

Auf Anregung des Schweizer Werkbundes wurde 1928 eine Initiativgruppe und eine gemeinnützige Genossenschaft zur Realisierung einer Siedlung, auf einem attraktiven Grundstück auf einem Hügelrücken über dem Züricher See, gegründet. Die beteiligten Architekten Paul Artaria, Max Ernst Haefeli, Carl Hubacher, Werner Moser, Emil Roth, Hans Schmidt und Rudolf Steiger entwarfen die Häuser gemeinsam und fühlten sich vor allem der Gesamtidee verpflichtet. Trotzdem zeigt die Siedlung eine Vielfalt unterschiedlicher Wohnungstypen, von der Ein-Zimmer-Wohnung bis zum Sechs-Zimmer-Haus. Zudem gibt es einen Gemeinschaftsraum, eine Kinderkrippe, Läden und Ateliers.

„Baba-Siedlung“ in Prag 1932-36

Der Vorsitzende des Tschechoslowakischen Werkbunds, Architekt Pavel Janák, entwarf ab 1928 mehrere städtebauliche Konzepte für eine Siedlung des Werkbunds am Stadtrand von Prag. Umgesetzt wurde ein Entwurf mit vier Parallelstraßen entlang der Höhenschichtlinien, welcher die Privatsphäre wahren und einen einzigartigen Ausblick auf die Stadt ermöglichen sollten.

Insgesamt entstanden in den Jahren 1932-1936 33 kleine Villen für die obere Mittelschicht, davon zwanzig im Laufe der Ausstellung im Herbst 1932. Die Baba-Siedlung ist insbesondere im Hinblick auf die landschaftliche Einbettung der Siedlung und der vielfältigen Haus-Typen, ein für den Funktionalismus im Wohnbau prägendes Stück Zwischenkriegsarchitektur.