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Die Wiener Siedlerbewegung

Die Entwicklung der Wiener Siedlerbewegung ist auf die Zeit um 1918 zurückzuführen, als bedingt durch die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs eine erschreckende Ernährungs- und Wirtschaftslage das Bild der österreichischen Hauptstadt prägte. Die Bewegung entstand vorerst als reine Selbsthilfemaßnahme, als Tausende WienerInnen aufgrund von Hungersnot und fehlenden Wohnungen an den Rändern der Stadt in Eigenregie Selbstversorgersiedlungen errichteten. Neben wenigen massiv ausgeführten Häusern handelte es sich zu Beginn hauptsächlich um einfache Bretterhütten, zur Eigenversorgung dienten der Anbau von Obst, Gemüse und Getreide sowie die Kleintierhaltung. 

Siedlungsgenossenschaften und Initiativen der Stadt

Nachdem die Stadtverwaltung von den Aktivitäten der ersten SiedlerInnen vollkommen überrascht worden war, ging es vorerst darum, diese unkontrollierte illegale Siedlungstätigkeit in städtebauliche Bahnen zu lenken. Bereits um 1921 schlossen sich die ersten, ursprünglich „wilden“ SiedlerInnen zu genossenschaftlich organisierten Siedlerbewegungen zusammen, finanzielle Unterstützung wurde ihnen dabei von der Gemeinde Wien zuteil. Die zusehends stärker werdende „Bewegung von unten“ sowie mehrere Großdemonstrationen der SiedlerInnen hatten dazu geführt, dass die traditionell gegen die als kleinbürgerlich angesehene Siedlerbewegung eingestellte sozialdemokratische Stadtverwaltung 1921 ein eigenes „Siedlungsamt“ ins Leben rief. Leiter der neuen, von Max Ermers aufgebauten Magistratsabteilung wurde der bekannte Vertreter der Gartenstadtbewegung Hans Kampffmeyer, während Adolf Loos als Chefarchitekt fungierte. Gleichzeitig hatte die Gemeinde Wien verschiedene städtische Außengebiete für Siedlungszwecke gewidmet, wodurch die Grundstücke im Baurecht vergeben werden konnten. Ins gleiche Jahr fiel auch die Gründung der Gemeinwirtschaftlichen Siedlungs- und Baustoffgesellschaft – GESIBA, die sich 1923 mit der sogenannten „Kernhausaktion“ (Typenpläne für wachsende Häuser) einen Namen machte und auch 1932 als Bauträger der Werkbundsiedlung auftrat. Hauptverantwortlich für all diese Aktivitäten war der erste sozialdemokratische Bürgermeister Wiens, Jakob Reumann, in dem die Siedlerbewegung einen starken Förderer gefunden hatte. Eine weitere wichtige Persönlichkeit war der Soziologe und Ökonom Otto Neurath, der später auch maßgeblich an der Konzeption der Werkbundsiedlung beteiligt war.

Siedlungen und ArchitektInnen

Zu den ersten großen Anlagen zählten unter anderem die bekannten Siedlungen Rosenhügel, Friedensstadt, Heuberg und Hermeswiese, wobei die Errichtung der Selbstversorgerkolonien zu einem nicht unwesentlichen Anteil durch die Mitarbeit der SiedlerInnen selbst auf der Baustelle geleistet wurde. Ziel der an der englischen und deutschen Gartenstadtbewegung orientierten Wiener Siedlerbewegung war die Errichtung von Siedlungen mit günstigen und typisierten Kleinhäusern in Verbindung mit Nutzgärten, die den BewohnerInnen eine Existenz zu sichern vermochten. Zu den bekanntesten ArchitektInnen der Bewegung zählten die späteren WerkbundsiedlungsteilnehmerInnen Adolf Loos, Josef Frank und Margarete Schütte-Lihotzky, weiters können Ferdinand Schuster, Franz Kaym, Alfons Hetmanek sowie Ernst Egli und Hugo Mayer als führende Persönlichkeiten genannt werden.

Text: Anna Stuhlpfarrer