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Das Wohnbauprogramm des Roten Wien

Das weit über die Grenzen Österreichs hinaus bekannte Wohnbauprogramm der Gemeinde Wien ist als Reaktion auf die soziale Lage nach dem Ersten Weltkrieg zu sehen, als in Wien neben Hunger und Arbeitslosigkeit auch eine verheerende Wohnungsnot herrschte und die Wohnverhältnisse unmenschliche Ausmaße angenommen hatten.

Stand der Dinge

Eine Bestandsaufnahme der Wohnsituation im Jahr 1919 hatte bestätigt, dass vor allem die Klein- und Kleinstwohnungen in Wien, zu denen Wohnungen in der Größe von 1 Kabinett bis maximal 2 Räumen zählten, untragbare Wohnbedingungen aufwiesen. Die meisten Wohnungen dieser Kategorie (1917 waren das immerhin über 400.000 in Wien) hatten weder WC noch fließend Wasser, zahlreiche Räume waren nur indirekt belichtet und belüftet, auch Gas- oder elektrische Beleuchtung fehlten. Ebenso erschreckend war das Ergebnis, dass bei der kleinsten Wohnungstype, der Kabinettwohnung, nur noch etwa die Hälfte über eine Küche verfügte. Bei den typischen Wiener Mietskasernen der Vorkriegszeit waren die Wohnungen entlang eines schmalen, an der Hofaußenmauer liegenden Ganges angeordnet, in den sämtliche Wohnungseingänge mündeten. Die Küchen und Vorräume, soweit überhaupt vorhanden, hatten die Fenster gegen diesen Gang gerichtet und entbehrten daher jeglicher direkter Licht- und Luftzufuhr. Auch die zu Gruppen angeordneten Aborte an den Hofseiten der Häuser, die stets von mehreren Wohnungen gemeinsam genutzt werden mussten, waren ausschließlich über diese Erschließungsgänge erreichbar.

Das Wohnprogramm

Diese enorme Wohnungsnot sowie die nach dem Krieg fehlende private Bautätigkeit hatten zu Beginn der 1920er-Jahre schlussendlich zu dem bis heute international anerkannten Wohnbauprogramm der sozialdemokratischen Wiener Stadtverwaltung geführt. Mit der Einführung der Wohnbausteuer im Februar 1923, deren Erträge zur Gänze für Wohnbauzwecke im Wiener Gemeindegebiet bestimmt waren, konnte noch im gleichen Jahr der Beschluss zur Erbauung von insgesamt 25.000 Wohnungen in den kommenden fünf Jahren getroffen werden. Bei der Umsetzung des Bauprogramms des Roten Wien hatte sich die Stadt bewusst gegen den Flachbau und zugunsten des mehrstöckigen Mietshauses im Stadtgebiet entschieden, dennoch wurden am Stadtrand auch einzelne Siedlungen mit Einfamilienhäusern und Nutzgärten erbaut.

Die neuen Wohnungen

In den zehn Jahren vom Beginn des Wohnbauprogramms bis zur Errichtung der Werkbundsiedlung im Jahr 1932 konnten in Wien über 64.000 Wohnungen geschaffen werden, erst im Jahr 1934 ist die Zahl der Neuerrichtungen auf etwa 2.000 im Jahr gesunken. Die Wohnungen mit einer Grundfläche von 38–48 m² waren sämtlich mit Fließwasser und eigenem Abort ausgestattet, jeder Aufenthaltsraum wurde über ein Fenster direkt belichtet. Die vor allem von der breiten Masse der Arbeiterschicht bewohnten Gemeindebauten wiesen teils umfangreiche Gemeinschaftseinrichtungen auf, die von Brause- und Wannenbädern, Waschküchen, Kindergärten und Büchereien bis zu geschützten Gartenhöfen mit Ruhezonen für Erwachsene und Spielplätze für Kinder reichten.

Text: Anna Stuhlpfarrer